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Mythen über das menschliche Mikrobiom

Mythen über das menschliche Mikrobiom

19. September 2023

Die Erforschung des Mikrobioms hat in den letzten zwei Jahrzehnten einen rasanten Aufschwung erlebt. Das menschliche Mikrobiom wird mittlerweile als Ursache oder potenzielle therapeutische Lösung für ein breites Spektrum von Krankheiten gesehen, darunter auch funktionelle Störungen des Darms wie Reizdarmsyndrom, SIBO (Dünndarmfehlbesiedlung) und vieles mehr.

Angesichts des Potentials des menschlichen Mikrobioms für unsere Gesundheit ist es von entscheidender Bedeutung, dass Behauptungen auf Beweisen beruhen. Wir möchten in diesem Blogbeitrag hartnäckige oder aufkommende Mikrobiom-Mythen und Fehleinschätzungen beleuchten und sie faktisch einordnen.

Mythos #1: “Mikrobiomforschung ist ein neues Feld”

Die Mikrobiomforschung ist – auch wenn sie vor allem wegen der Fortschritte in der Gensequenzierung an Geschwindigkeit gewonnen hat – kein wirklich neues Feld.

In der Tat gibt es seit mindestens dem späten neunzehnten Jahrhundert eine reiche Geschichte der Erforschung von Mikroorganismen, die mit dem Menschen in Verbindung stehen. Escherichia coli wurde erstmals 1885 isoliert1, Bifidobakterien wurden 1899 beschrieben2 und Metchnikoff spekulierte in den frühen 1900er Jahren über die Bedeutung nützlicher Darmmikroorganismen3. Auch Konzepte wie die Darm-Hirn-Achse werden seit Jahrhunderten erforscht4, und über die gesundheitlichen Auswirkungen wichtiger mikrobiomassoziierter Metaboliten wie kurzkettiger Fettsäuren wurde erstmals vor mehr als 40 Jahren berichtet5.

Mythos #2: “Es gibt 1012 Bakterienzellen pro Gramm menschlicher Fäkalien”

Die tatsächliche Anzahl ist immer noch schwindelerregend hoch.

Die oben genannte Zahl wird in der Mikrobiom-Literatur häufig genannt, aber ihre Quelle ist schwer zu ermitteln. Die tatsächliche Zahl, die mit verschiedenen Methoden ermittelt wurde, liegt in der Regel zwischen 1010 und 1011 mikrobiellen Zellen pro nassem Gramm Fäkalien6, 7, 8.

Mythos #3: “Die menschliche Mikrobiota wiegt 1 bis 2 kg”

Der größte Teil der menschlichen Mikrobiota befindet sich im Dickdarm, und diese Mikroorganismen machen in der Regel weniger als die Hälfte des Gewichts der fäkalen Feststoffe aus9. Der durchschnittliche menschliche Stuhl wiegt weniger als 200 g (Nassgewicht)10.

Abgesehen vielleicht von den seltenen Fällen von Verstopfung mit extrem verdichteter Stuhlmasse im Dickdarm, dürfte das Gesamtgewicht der menschlichen Mikrobiota eher unter 500 g liegen, in manchen Fällen vielleicht sogar deutlich darunter.

Mythos #4: “Die Mikrobiota übertrifft die menschlichen Zellen im Verhältnis 10:1”

Detailliertere Analysen zeigen immer noch eine beeindruckende Zahl.

Das tatsächliche Verhältnis liegt wahrscheinlich eher bei 1:1. Es sei darauf hingewiesen, dass dieses Verhältnis von Person zu Person variiert und von Faktoren wie der Körpergröße des Wirts und der Menge an Fäkalien, die er in seinem Dickdarm mit sich führt, abhängig ist11. Die derzeitigen Schätzungen beruhen auch weitgehend auf Beobachtungen von erwachsenen Personen, die in urbanisierten Ländern mit hohem Einkommen leben. Umfassendere Schätzungen erfordern die Untersuchung von Personen aus einkommensschwächeren oder ländlichen Gegenden und auch über den gesamten Lebensverlauf hinweg12.

Mythos #5: “Die Mikrobiota wird bei der Geburt von der Mutter vererbt”

Die direkte “Vererbung” von der Mutter bei der Geburt spielt eher eine geringe Rolle bei der Entwicklung der individuellen Mikrobiota.

Obwohl einige Mikroorganismen während der Geburt direkt von der Mutter auf das Kind übertragen werden12, 13, sind verhältnismäßig wenige Mikrobiota-Spezies wirklich “vererbbar” und verbleiben von der Geburt bis zum Erwachsenenalter im Nachwuchs11, 14.

Tatsächlich findet der größte Teil der Diversität der Darmmikrobiota nach der Geburt, in den ersten Lebensjahren, statt und nimmt nach der Entwöhnung am stärksten zu15. Jeder Erwachsene hat am Ende eine einzigartige Mikrobiota-Konfiguration – selbst eineiige Zwillinge, die im selben Haushalt aufwachsen16. Obwohl der Aufbau der Mikrobiota noch nicht vollständig geklärt ist, scheinen die Mikrobiota im Erwachsenenalter in erster Linie durch frühe Umwelteinflüsse sowie zahlreiche andere Faktoren wie Ernährung, Antibiotikatherapie und Wirtsgenetik geformt zu werden.

Mythos #6: “Die meisten Krankheiten sind durch ein Pathobiom gekennzeichnet”

“Pathobiom” ist lose definiert als schädliche Wechselwirkungen zwischen Mikrobiomen und ihrem Wirt, die zu Krankheiten führen.

Dieser Begriff ist leider zu stark vereinfacht und von Natur aus fehlerhaft. Mikroorganismen und ihre Stoffwechselprodukte sind weder “gut” noch “böse”, sie existieren einfach. Ihre Auswirkungen auf uns als Wirte sind stark vom Kontext abhängig. Mikroorganismen oder Stoffwechselprodukte, die in einem Kontext schädlich sind, können in einem anderen keinen Schaden anrichten. So kann beispielsweise Clostridioides difficile ein Leben lang asymptomatisch verlaufen und erst im höheren Alter Probleme verursachen, wenn der Wirt immungeschwächt ist und mit Antibiotika behandelt wird17. Ähnlich kann ein E. coli-Stamm im Dickdarm relativ harmlos sein, aber eine Harnwegsinfektion verursachen, wenn er in die Harnröhre eindringt18.

Es stimmt jedoch, dass zahlreiche menschliche Erkrankungen nachweislich mit Veränderungen in der Zusammensetzung der Mikrobiota korrelieren. Dies wird manchmal als “Dysbiose” bezeichnet. Es ist sehr wahrscheinlich, dass dies bei einigen Erkrankungen, wie z.B. entzündlichen Darmerkrankungen19, 20, zum Fortschreiten der Krankheit beiträgt. Doch solche Veränderungen sind selten konsistent, und die Mikrobiota ist sowohl bei gesunden als auch bei kranken Menschen sehr unterschiedlich.

Die Schlussfolgerung, dass ein charakteristisches Pathobiom bei den “meisten” Krankheiten eine Rolle spielt, ist daher ein Sprung, der noch nicht durch Fakten untermauert ist.

Zusammenfassung

Es ist ein normaler Prozess, dass Mythen entstehen, wenn ein Forschungsgebiet schnell viel Aufmerksamkeit und Zulauf erhält. Beim Mikrobiom mag es auch der Tatsache geschuldet sein, dass viele Erkenntnisse der Forschung an Tieren entstammen. Diese Ergebnisse sind allerdings nicht 1:1 auf den Menschen übertragbar.

Die tatsächliche Anzahl der in und auf uns lebenden Mikroorganismen ist weiterhin sehr hoch. Die Bedeutung für unsere Gesundheit ist dabei sehr groß. Dabei sollte der Fokus auch auf der Entschlüsselung dessen liegen, wie der Darm und die dort angesiedelten Bakterien mit uns als Wirt interagieren – und was dieses Ökosystem benötigt, damit wir gesund werden oder bleiben.


Referenzen (Englisch)

  1. Hacker, J. & Blum-Oehler, G. In appreciation of Theodor Escherich. Nat. Rev. Microbiol. 5, 902 (2007).
  2. Cruickshank, R. Bacillus bifidus: its characters and isolation from the intestine of infants. J. Hyg. 24, 241–254 (1925).
  3. Metchnikoff, E. The Prolongation of Life: Optimistic Studies (William Heinemann, G. P. Putnam’s Sons, 1907).
  4. Miller, I. The gut–brain axis: historical reflections. Microb. Ecol. Health Dis. 29, 1542921 (2018).
  5. Roediger, W. E. W. The colonic epithelium in ulcerative colitis: an energy-deficiency disease? Lancet 316, 712–715 (1980).
  6. Stephen, A. M. & Cummings, J. H. The microbial contribution to human faecal mass. J. Med. Microbiol. 13, 45–56 (1980).
  7. Hoyles, L. & McCartney, A. L. What do we mean when we refer to Bacteroidetes populations in the human gastrointestinal microbiota? FEMS Microbiol. Lett. 299, 175–183 (2009).
  8. Vandeputte, D. et al. Quantitative microbiome profiling links gut community variation to microbial load. Nature 551, 507–511 (2017).
  9. Sender, R., Fuchs, S. & Milo, R. Revised estimates for the number of human and bacteria cells in the body. PLoS Biol. 14, e1002533 (2016).
  10. Cummings, J. H., Bingham, S. A., Heaton, K. W. & Eastwood, M. A. Fecal weight, colon cancer risk, and dietary intake of nonstarch polysaccharides (dietary fiber). Gastroenterology 103, 1783–1789 (1992).
  11. Sender, R., Fuchs, S. & Milo, R. Are we really vastly outnumbered? Revisiting the ratio of bacterial to host cells in humans. Cell 164, 337–340 (2016).
  12. Ferretti, P. et al. Mother-to-infant microbial transmission from different body sites shapes the developing infant gut microbiome. Cell Host Microbe 24, 133–145.e5 (2018).
  13. Valles-Colomer, M. et al. The person-to-person transmission landscape of the gut and oral microbiomes. Nature 614, 125–135 (2023).
  14. Rothschild, D. et al. Environment dominates over host genetics in shaping human gut microbiota. Nature 555, 210–215 (2018).
  15. Yatsunenko, T. et al. Human gut microbiome viewed across age and geography. Nature 486, 222–227 (2012).
  16. Goodrich, J. K. et al. Human genetics shape the gut microbiome. Cell 159, 789–799 (2014).
  17. Schäffler, H. & Breitrück, A. Clostridium difficile – from colonization to infection. Front. Microbiol. 9, 646 (2018).
  18. Worby, C. J. et al. Longitudinal multi-omics analyses link gut microbiome dysbiosis with recurrent urinary tract infections in women. Nat. Microbiol. 7, 630–639 (2022).
  19. Ni, J., Wu, G. D., Albenberg, L. & Tomov, V. T. Gut microbiota and IBD: causation or correlation? Nat. Rev. Gastroenterol. Hepatol. 14, 573–584 (2017).
  20. Pammi, M. et al. Intestinal dysbiosis in preterm infants preceding necrotizing enterocolitis: a systematic review and meta-analysis. Microbiome 5, 31 (2017).
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